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Die grosse Evolution - Fritz Schranz und das Kloster für Moderne Kunst und Philosophie


Die große Evolution, Biografie, Independent 1h 24min D 2016, zu sehen auf Sooner


Zum Film "Die große Evolution" über Fritz Schranz und unsere Verbindung zu ihm


Fritz Schranz und sein Kloster für moderne Kunst und Philosophie in Peterskirchen in Bayern haben wir durch unsere damaligen Hamburger Freunde Anatol und Pascal etwa 1987 oder 1988 kennengelernt und dort das eine oder andere Seminar verbracht. Fritz und seine Frau haben uns sehr freundlich empfangen und wir haben dort mit ihnen immer wieder mal schöne Stunden verbracht. Dann haben wir in den Jahren 1991 und 1992 an einem seiner existential-ontologische Seminare teilgenommen. Ende der 1980er und Beginn der 1990er standen wir also in einem ziemlich intensiven Kontakt mit ihm.


Fritz Schranz war irgendwie ganz weit weg, aber dann doch wieder sehr nahe, in einem Paralleluniversum, wie er sagen würde. Er beschäftigte sich mit der Philosophie und mit ihren wirklichen Grundfragen und nicht mit Betrachtungen zu den banalen Wirklichkeiten von Arbeit und Gemüse, wie manche Semi-Philosophen von heute. Seine Frau Gottiebe (Gräfin von Lehndorff) war und blieb immer sozusagen bis zum Schluss Gräfin. Wir haben einmal ein sehr schönes Ostern dort verbracht. Da war alles versammelt, was noch in den 1980ern dort übergeblieben war. Ich glaub auch Veruschka von Lehndorff, die Tochter von Gottliebe, dann ihr Mann Holger Trültsch, sowie ihr Sohn namens Verus, lateinisch für Wahrheit, der, wie kann es anders sein – in England studiert hat – vermutlich Oxford oder Cambridge. Wer außer unseren Aristos nennt denn das Kind Verus.


Alphabet


Sein aus den 70er Jahren stammendes Alphabet wird zu einem zwar ein wenig angestaubten aber doch mit großer Originalität gezeichneten Instrumentarium seiner Philosophie und führt uns durch die filmische Biographie „Die grosse Evolution.“

Fritz Schranz, ein ehemaliger Mathematikprofessor, der in den 68er Jahren in München zunächst über die Psychotherapie in die Philosophie eingestiegen ist und seinen angestammten Beruf als Lehrer aufgegeben hat, hat dann irgendwann seine Frau Gottliebe, ihres Zeichens verwitwete Gräfin aus dem Geschlecht von Lehndorf, kennengelernt. Ihr Mann, Graf von Lehndorff, wurde zusammen mit Stauffenberg als Hitlerattentäter im Dritten Reich hingerichtet. Ihre Tochter Veruschka war in den 60er 70er vielleicht das berühmteste Fotomodell und befand sich auf den Titelblättern von Vogue etc. und hat sich dann auch als Muse von Lagerfeld und Joop später einen Namen gemacht. Ihre Body-Art-Bilder sind damals in den Medien kursiert. (Twen). Besagte Gottliebe von Lehndorff finanzierte jedenfalls Ende der 60er, Anfang der 70er den Umbau des zuvor von ihnen erworbenen Pfarrhofs und damit auch seinen Lebenstraum vom Leben in einer Künstlerkommune, eben in einem „Kloster für moderne Kunst und Philosophie“.


Existential-ontologische Aktionen


Es war die Zeit der Langhaarigen, es war die Zeit der Hippies, es war die Zeit der Sit-Ins und der unendlichen Diskussionen. Man kann sich jene im Film zitierten existential-ontologischen Aktionen und Seminare, die im Pfarrhof aber vor allem auch sehr viel auswärtigen Orten stattfanden, gut vorstellen. Dort und damals wurde über Heidegger, Schopenhauer und Kant philosophiert, also die ganze deutsche Philosophie, über Hölderlin, Rilke usw., und man unternahm damals üblich „Ausflüge" in die bildende Kunst und ins Theater. Die Orte, die sie dabei für ihre Aktionen aufsuchten, waren durchwegs magische, ob nun Kreta, Spanien, Andalusien oder eben auch Volterra in Italien. Durch sie haben wir von diesem aufgelassene Irrenhaus erfahren, an dem wir später ein eigenes großes Projekt verwirklichten. Diese Reisen zu den magischen Orten wurden von den Teilnehmern finanziert. Und es gab natürlich keine Zuschauer, sondern ganz typisch - wie auch für uns als "Bibliothekare" - war das Publikum die Teilnehmer: the audience are the participants. Für ihre Performances arbeiteten sie mit Fahnen, Stoffen und einfachen Naturgegenständen.


Kommune


In jenen Zeiten hatte das Leben in ihrem „Kloster für moderne Kunst und Philosophie“ durchaus auch die Anmutung einer Kommune. Viele Künstler fanden damals ihren Weg nach Peterskirchen, u.a. der Filmemacher Werner Herzog, etc. Am längsten hielt sich dort die Schauspielerin Hanna Schygulla auf, und auch Hermann Nitsch sollte vorbeischauen, was dort eigentlich los war. Es tat sich da was in Oberbayern und das zog auch entsprechend Leute an. Letzten Endes wollte aber jeder wohl so sein eigenes Schloss als Wirkungsstätte, also blieb man dort dann schließlich eben unter sich. Und für den kleinen Ort Peterskirchen war es ja auch keine wirkliche Bereicherung, wie man sich in den 70er Jahren vorstellen kann. 


Fritz war für uns und für seinen Besucher ein brillanter Denker, der viele neue und interessante Ansätze einbrachte, wenngleich der französische Poststrukturalismus an ihm völlig vorbeizog Seine philosophischen künstlerischen Aktionen waren von einer bestimmten Ästhetik geprägt, die einerseits in der Kombination, so wie sie aufgetaucht sind, sicher stimmig und richtig waren, aber Fritz Schranz war ja von seiner Geschichte her kein Künstler und verwendete daher Material aus Küche und Garten, was manchmal in eine gewisse Peinlichkeit ausgeartet ist. Nun war in den frühen 70er Jahren im Grunde alles erlaubt, auch als ästhetische Auflösung, wie es hier der Fall war. Und schließlich ging es ja eigentlich nicht um das Material, sondern um die Übersetzung von philosophischen künstlerischen Gedanken in Aktionen. Er nutzte dafür bis zuletzt immer traditionelle, analoge Materialien und in Wirklichkeit ausrangierte Geräte. Aber immer war er voller Tatendrang und hatte stets neue Projekte und Aktionen im Kopf, was eine ganz eigene und ansteckende Aktivität entfaltete. 


Individuelle Mythologien


Auch wir haben an Aktionen teilgenommen, den philosophischen Diskurs gepflegt und Texte oder Gedichte nach dem Abendessen rezitiert. Wir haben dort schöne konzentrierte, fast meditative gemeinsame Malaktionen erlebt und aus Holzbrettern und Materialien aus dem Garten einen "Königsthron" gebaut, was einem nebenbei auch gezeigt hat, mit wie wenig Material man in der Kunst auskommen kann. Freilich stand alles im Dienst einer „philosophischen Interaktion“ im künstlerisch kulturellen Kontext. Es war also nicht Kunst allein, wie das in unserem Fall der Fall ist. Dennoch war Fritz in den 80er Jahren fast zu einer Documenta nach Kassel eingeladen worden, wenn nicht irgendetwas dazwischengekommen wäre. Denn sowohl bei ihm als auch mit einem nötigen Respektabstand bei uns geht es um individuelle Mythologien. Der historische Verdienst des Kunsthistorikers und Ausstellungsmachers Harald Seemann war, dass er eben diese individuellen Mythologien herausgearbeitet und diesen Aspekt überhaupt in die Kunst(-Geschichte) eingebracht hat. Sowohl der Aspekt des Gesamtkunstwerks als auch die soziale Plastik als Erweiterung des Gedanken von Beuys, hat den Künstlerbegriff mit verschrobenen manchmal sogar Geisteskranken in eine Verbindung gebracht und Kunst als individuelle Ausprägung verstanden, die sich nicht zwingend auf die klassischen Ebenen und Formate des Kunstmarktes beziehen muss.


Paralleluniversum


Diese als Außenseiter in der Kunst verstandenen Künstler waren und sind immer Leute, die sich nicht der Öffentlichkeit verschrieben haben. Teils, weil sie es nicht konnten und teils, weil sie es nicht wollten. Auch wir sind gewissermaßen in dieser Riege mit aufgenommen es ist unsere Heimat, wenn auch mit ganz anderen Ausrichtungen und Konzepten, die wir in unserem Fall besonders auf die heutige Zeit angepasst haben.Diese Kunst, sofern es denn überhaupt eine ist, ist dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung und in der öffentlichen Meinung generell unterrepräsentiert. Denn weder besucht die Gesellschaft diese Künstler noch suchen umgekehrt die Künstler diese Gesellschaft. Sie leben im Großen und Ganzen so wie Fritz Schranz in einem Paralleluniversum, in individuellen Konstruktionen. Mit allen Konsequenzen. Ihre Entdecker haben es geschafft, alle diese merkwürdigen Leute kurzzeitig vor den Vorhang zu zerren, um sie nicht gänzlich der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, aber ein nachhaltiger öffentlicher Wirkungsmechanismus ist ihnen nicht zuteilgeworden und das ist auch gut so.  


DIE BIBLIOTHEKARE




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